Heute unterwegs im Bayon Tempel Areal
Ein Tag im Herzen von Angkor Thom
Allein in Siem Reap aufzuwachen, hat etwas Eigenes. Die Stadt schläft nie ganz, aber am frühen Morgen liegt eine angenehme Ruhe über den Straßen. Nach einer Tasse starken kambodschanischen Kaffees im Day Day Inn, meinem einfachen, aber freundlichen Quartier, mache ich mich auf den Weg – heute steht das Bayon Tempel Areal auf dem Programm. Die Sonne ist noch nicht zu hoch, die Luft frisch, und mein Ziel ist klar: Ich will den Zauber der berühmten steinernen Gesichter und der uralten Geschichte spüren.
Die Bayon – Gesichter einer vergessenen Stadt
Schon beim Näherkommen wirkt der Bayon wie ein steinernes Rätsel. Die Türme mit den meterhohen, aus Stein gemeißelten Gesichtern blicken in alle Himmelsrichtungen, ruhig, fast wissend, als hätten sie Jahrhunderte an Geschichten gesammelt. Im späten 12. Jahrhundert ließ König Jayavarman VII. Angkor Thom als neue Hauptstadt errichten, mitten im Dschungel, umgeben von einer massiven Mauer. Im Zentrum dieser 9 km² großen Stadt erhebt sich der Bayon, damals das spirituelle Herz des Khmer-Reiches.
Nach dem Niedergang Angkors im 15. Jahrhundert, als das Reich von den Thais besiegt und die Stadt verlassen wurde, verschwand auch der Bayon langsam im tropischen Grün. Nur Angkor Wat blieb weiter Ziel von Pilgern, während der Bayon und die anderen Tempel von Lianen und Baumwurzeln erobert wurden. Erst Ende des 19. Jahrhunderts, als europäische Forscher auf die Ruinen aufmerksam wurden, begann die Wiederentdeckung. Doch Kriege und politische Umbrüche verzögerten die Restaurierung um Jahrzehnte. Erst seit den 1980er Jahren, nach dem Ende der Roten Khmer, wurde der Bayon wieder freigelegt und restauriert. Seit 1992 steht er als Teil von Angkor auf der UNESCO-Weltkulturerbe-Liste.
Was mich besonders fasziniert: Der Bayon ist ein Spiegel des religiösen Synkretismus der Khmer. Hier finden sich buddhistische und hinduistische Elemente nebeneinander, Jayavarman VII. selbst war überzeugter Mahayana-Buddhist, weihte das zentrale Heiligtum dem Buddha, ließ aber auch hinduistische Götterbilder zu. Es ist diese Mischung, die dem Ort eine besondere Tiefe verleiht.
Am südlichen Eingang stehe ich kurz still. Die Sonne bricht durch die Bäume, das Licht spielt auf den uralten Steinen. Ich stelle mir vor, wie hier einst Pilger, Händler und Könige ein- und ausgingen, das Zentrum einer Welt, die heute nur noch in Fragmenten existiert.










Der Bayon Tempel – Reliefs, die das Leben erzählen
Im Gegensatz zu Angkor Wat, wo die Architektur dominiert, sind es im Bayon die lebendigen Reliefs, die sofort ins Auge fallen. Der zentrale Tempelberg ist von zwei konzentrischen, quadratischen Galerien umgeben, deren Wände mit unzähligen Szenen bedeckt sind. Ich schlendere langsam an den Reliefs der äußeren Galerie entlang und entdecke Geschichten aus den Kriegen gegen die Cham, Szenen vom fischreichen Tonle-Sap-See, aber auch Alltagsszenen: Händler auf dem Markt, Kinder beim Spielen, Musiker mit Instrumenten, die teils heute noch in Kambodscha gespielt werden.
Ein Guide, den ich zufällig treffe, zeigt mir die fast ausgestorbene Stabzither kse diev, die nur auf den Bayon-Reliefs zu finden ist. Er lacht und meint: „Manche Instrumente, die du hier siehst, kennen sogar die meisten Kambodschaner nicht mehr.“ Besonders beeindruckend finde ich die Bogenharfe pinn, die heute nur noch in Myanmar als saung gauk gespielt wird, und das Schneckenhorn saing, das für religiöse Rituale wichtig war.
Im Inneren der Galerie entdecke ich weitere Szenen aus der hinduistischen Mythologie, ein faszinierender Mix aus Religion, Geschichte und Alltagsleben. Anders als die eher höfischen Darstellungen im Angkor Wat, zeigt der Bayon das Leben der einfachen Leute, voller Details und Humor. Ich bleibe immer wieder stehen, verliere mich in den Geschichten, die die Steine erzählen.












Terrace of the Elephants – Bühne der Könige
Ein paar Schritte weiter lande ich auf der berühmten Terrasse der Elefanten. Sie zieht sich über mehr als 300 Meter und war einst die Bühne für königliche Paraden, Prozessionen und Spiele. Die Reliefs zeigen Elefanten in voller Pracht, dazu Garudas, Löwen, Gladiatoren, Artisten und sogar Polo-Spieler. Ich stelle mir vor, wie hier die königliche Familie auf den Pavillons saß, das bunte Treiben auf dem großen Platz beobachtete, während unten das Volk jubelte.
Ein älterer Mann, der mir begegnet, erzählt, dass die Elefanten nicht nur Macht, sondern auch Weisheit symbolisieren. „Ohne Elefanten, kein König“, sagt er und grinst. Die Atmosphäre ist lebendig, obwohl von den Pavillons heute nur noch die Grundmauern übrig sind. Ich setze mich kurz auf eine der Stufen, lasse den Blick schweifen und versuche, das Echo vergangener Feste zu hören.












Terrace of the Leper King – Das Rätsel des Leprakönigs
In der nordwestlichen Ecke des Areals stoße ich auf die Terrasse des Leprakönigs. Die U-förmige Struktur ist mit geheimnisvollen Reliefs bedeckt. Der Name stammt von einer Statue, die mit Moos und Verfärbungen bedeckt war und an Lepra erinnerte. Eine lokale Legende erzählt von König Yasovarman I., der an Lepra gelitten haben soll. Tatsächlich identifiziert eine Inschrift die Figur aber als Dharmaraja, den hinduistischen Gott des Todes.
Ein junger Mönch, den ich hier treffe, erklärt mir, dass die Terrasse vermutlich als königliche Einäscherungsstätte diente. „Viele glauben, dass hier die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits besonders durchlässig ist“, sagt er leise. Die Stimmung ist spürbar anders, fast mystisch. Ich umrunde die Terrasse, bleibe an den Reliefs hängen und lasse die Geschichten auf mich wirken.















Die Khleangs – Geheimnisvolle Empfangshallen
Östlich der Terrasse entdecke ich die beiden Khleangs, langgestreckte Gebäude, deren Funktion bis heute nicht ganz geklärt ist. Wahrscheinlich dienten sie als Empfangshallen für auswärtige Würdenträger. Besonders der nördliche Khleang beeindruckt mit feinen Reliefs, Diamantenmotiven und Girlanden, die typisch für die klassische Khmer-Architektur sind. Die Mauern sind massiv, die Säulen robust, und das zentrale Heiligtum erinnert im Stil an Angkor Wat.
Ich treffe auf einen älteren Wächter, der mir stolz zwei bronzene Statuetten zeigt, die hier gefunden wurden, Vishnu und Lokeshvara. Im Inneren ist es kühl und ruhig, fast meditativ. Die tropische Vegetation hat auch hier ihre Spuren hinterlassen, doch die Restauratoren haben viel Mühe investiert, um das Bauwerk wieder erlebbar zu machen.












Phimeanakas – Der Tempel der goldenen Legende
Phimeanakas liegt etwas versteckt innerhalb der Mauern des ehemaligen Königspalastes. Der Tempel wurde im Khleang-Stil als dreistufige Pyramide erbaut, auf deren Spitze einst ein Turm mit goldener Zinne thronte. Eine Legende erzählt, dass der König jede Nacht mit einer Naga, einer Schlangengöttin, im Turm verbringen musste. Blieb er aus, drohte Unheil über das Reich.
Ich steige die steilen Stufen hinauf, der Blick schweift über das grüne Meer der Baumwipfel. Oben angekommen, spüre ich die Magie des Ortes. Ein paar Touristen sitzen still, andere machen Fotos. Ich lasse mich auf den warmen Steinen nieder und denke an die alten Geschichten, an Könige, Götter und die Macht der Mythen.















Angkor Wat – Geschichten in Stein
Auch wenn mein heutiger Fokus auf dem Bayon liegt, zieht mich die Nähe zu Angkor Wat magisch an. Die Tempelanlage ist ein Meisterwerk aus rechteckigen Galerien, deren Wände das längste Basrelief der Welt tragen. Hier werden Geschichten aus der hinduistischen Mythologie erzählt, von der Schlacht von Lanka bis zum Aufwirbeln des Milchmeeres.
Ich schlendere durch die Galerien, bestaune die Schnitzereien, die in ihrer Präzision und Lebendigkeit ihresgleichen suchen. Besonders beeindruckt mich die „Heaven and Hell Gallery“, in der Himmel und Hölle aufeinandertreffen, ein ewiges Spiel von Gut und Böse, Licht und Schatten.
