Verlassene Villen Im Pott
Zwischen Industriellenlegenden, architektonischen Meisterwerken und dem leisen Wispern des Verfalls: Lost Places im Ruhrgebiet
Stell dir vor, du schiebst ein rostiges Eisentor zur Seite, das schon seit Jahren niemand mehr geöffnet hat. Die Sonne kämpft sich durch das dichte Geäst, während du vorsichtig über moosbedeckte Steinstufen schreitest. Jeder Schritt knarzt, als würde das Haus unter deinen Füßen aufwachen und doch bleibt alles seltsam still. Willkommen auf meiner Reise durch die verlassenen Villen des Ruhrgebiets, wo Geschichte, Glanz und das Unheimliche aufeinanderprallen.
Villa Sohl – Macht, Bunker und das Echo der Vergangenheit
Ein Industrieller im Schatten der Geschichte
Hans-Günther Sohl, allein der Name steht für ein halbes Jahrhundert deutscher Industriegeschichte. Geboren 1906 in Danzig, Sohn eines Juristen, zog es ihn nach dem Abitur und Studium des Bergbaus direkt in die Montanindustrie. Schon früh stieg er bei Krupp und später bei den Vereinigten Stahlwerken auf, wurde 1941 Vorstandsmitglied und 1943 sogar stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Seine Karriere war eng mit der NS-Zeit verknüpft: Sohl war NSDAP-Mitglied und Wehrwirtschaftsführer, verstrickt in die Organisation der Rüstungsindustrie und den Einsatz von Zwangsarbeitern. Nach Kriegsende wurde er interniert, aber als „Mitläufer“ eingestuft und bald wieder in die Spitzen der Industrie berufen.
Der Bau der Villa – ein Statement
1960 ließ Sohl in Düsseldorf Hubbelrath ein Anwesen errichten, das in seiner Extravaganz selbst die mondäne Ruhr Society beeindruckte. Der renommierte Architekt Carlos Dudek entwarf das Haus, der berühmte Gartenarchitekt Roland Weber gestaltete einen 40.000 Quadratmeter großen Park, der bis heute unter Denkmalschutz steht. Die Baukosten: rund 1,5 Millionen Mark, eine Summe, die damals für Aufsehen sorgte.
Luxus trifft Apokalypse: Der Atombunker
Das eigentliche Herzstück der Villa befindet sich tief unter der Erde: ein Atombunker mit 1,5 Meter dicken Wänden, gebaut in einer Zeit, als die Angst vor dem nuklearen Schlagabtausch zwischen den Supermächten allgegenwärtig war. Hier lagerte die Familie Sohl Vorräte, geschützt vor Gammastrahlen und anderen Schrecken des Kalten Krieges. Die Heizungsanlage war so leistungsstark, dass sie ein kleines Krankenhaus hätte versorgen können. Im Keller gab es ein Jagdzimmer, ein großes Schwimmbad, Sauna, begehbaren Tresor und einen Fahrstuhl direkt ins Schlafzimmer – alles durchdacht bis ins Detail.
Ein Ort, der sich selbst überlebt
Nach Sohls Tod 1989 und dem Ableben seiner Witwe stand die Villa leer. Der Park, einst von Gärtnern der Thyssen AG gepflegt, verwilderte. Das Haus wurde zum Magneten für Lost Place Abenteurer und zum Symbol für das Vergessen. Heute ist das Gebäude einsturzgefährdet, von Vandalismus gezeichnet, der Park bleibt jedoch als Naturdenkmal erhalten. Die dunkle Vergangenheit Sohls, seine Rolle im NS-Regime, sorgt bis heute für Diskussionen, sogar eine nach ihm benannte Straße wurde umbenannt. Beim Betreten der Villa spürt man die Schwere der Geschichte. Die Stille ist bedrückend, und manchmal scheint es, als würde das Haus seine Geheimnisse nicht preisgeben wollen.





















Villa Amalia – Historismus, Rettung und ein Hauch von Fernsehruhm
Vom Familiensitz zum Denkmal
Die Villa Amalia, auch als Villa Neuhaus oder „Briller Schlösschen“ bekannt, wurde 1883/84 von den Berliner Architekten Walter Kyllmann und Adolf Heyden für den Fabrikanten Albert Neuhaus erbaut. Der Name „Amalia“ erinnert an dessen verstorbene Ehefrau. Das zweigeschossige Gebäude mit sechseckigem Turm, stuckverzierten Decken, Marmorsäulen und einer prachtvollen Oberlichthalle ist ein Paradebeispiel für den Historismus mit Elementen der Neorenaissance. Der 9.000 Quadratmeter große Park mit alten Buchen und Kastanien, ein Kutscherhaus und ein Springbrunnen komplettieren das Ensemble.
Bedroht, gerettet, umgenutzt
In den 1970er Jahren drohte der Abriss. Doch private Initiative rettete das Bauwerk: Bernt Westarp setzte sich für den Erhalt ein und nutzte die Villa von 1980 bis 1991 als Pflegeeinrichtung. Später wurde das Haus als Altenheim weitergeführt, bis die Betreiber 2012 Insolvenz anmeldeten. Nach Jahren des Leerstands kaufte eine Aachener Immobilienfirma die Villa, plante eine denkmalgerechte Sanierung und die Umwandlung in Büros oder Praxen. 2018 wurde die Villa als Drehort für „Babylon Berlin“ berühmt.
Neuer Glanz, alte Schatten
Aktuell wird die Villa zur Seniorenwohnanlage umgebaut, der Park bleibt erhalten, und ein Ausflugscafé ist geplant. Doch trotz aller Bautätigkeit bleibt etwas von der alten Atmosphäre. Die Räume, früher von Festen und Gesprächen erfüllt, wirken heute wie im Dornröschenschlaf. Die Stille ist fast greifbar, und manchmal, wenn der Wind durch die Bäume rauscht, scheint es, als würde die Villa ihre Geschichten weiterspinnen, zwischen Glanz und Melancholie.

















Die gelbe Villa am Köhlweg – Verfall, Stillstand und das leise Grauen
Vom Wohntraum zur Schrottimmobilie
Am Köhlweg in Wuppertal steht eine gelbe Villa, die seit 2015 leer ist. Drei Namen am Briefkasten, aber niemand holt mehr Post. Das Anwesen, einst prachtvoll, ist heute von Unkraut überwuchert, das Gebäude verfällt zusehends. Ein Sandhaufen zeugt davon, dass hier vor Jahren Bauarbeiter tätig waren doch dann stoppte alles. Schwammbefall, ein schwerer Unfall eines Handwerkers, finanzielle Probleme der Eigentümer: Die Sanierung wurde zu teuer, das Haus ging an einen Investor über, der eine Betonmauer zog und das Gebäude seinem Schicksal überließ.
Behördliche Ohnmacht und Nachbarschaftsärger
Die Stadt kann wenig tun: Solange keine Gefahr für die Allgemeinheit besteht, bleibt das Privateigentum unangetastet. Die Nachbarn ärgern sich über das verwahrloste Haus, das in bester Lage langsam zur Schrottimmobilie wird. Ein Investor spricht von einem Baustopp durch die Stadt, Details bleiben geheim. Nebenan steht noch ein roter Flachbau, seit 2009 ebenfalls leer als hätte sich das Viertel ein Stück weit selbst aufgegeben.
Unheimliche Aura
Wenn ich vor dem Tor stehe, überkommt mich ein Frösteln. Die Fenster wirken wie tote Augen, die einen dennoch beobachten. In der Nachbarschaft erzählt man sich von nächtlichen Lichtern und unerklärlichen Geräuschen. Vielleicht ist es nur der Wind, vielleicht auch die Vergangenheit, die hier nicht zur Ruhe kommt. Es ist, als würde das Haus auf jemanden warten oder als hätte es längst beschlossen, niemanden mehr hereinzulassen. Ein Ort, an dem sich das Unheimliche und das Alltägliche die Hand geben.















Epilog: Lost Places – Zwischen Faszination, Geschichte und Gänsehaut
Jede dieser Villen steht für ein Stück Ruhrgebietsgeschichte und für das, was bleibt, wenn Glanz und Macht vergangen sind. Sie erzählen von Aufstieg und Fall, von Rettung und Verfall, von Menschen und ihren Träumen. Und sie zeigen, dass manchmal die spannendsten Geschichten dort zu finden sind, wo niemand mehr hinschaut. Wer weiß, welches Flüstern, welche Schatten uns beim nächsten Besuch erwarten? Eines ist sicher: Die Reise durch die Lost Places des Ruhrgebiets ist noch lange nicht zu Ende.
